Die Landfrage in Brasilien und im semiariden Gebiet.

Vor ca. 8000 Jahren war das heutige semiaride Gebiet von Regenwald bedeckt, der vom atlantischen Regenwald Bahias und Pernambucos bis zum Amazonas Regenwald reichte. Es lebten hier Großtiere wie Mastodonten, Hipidions, der Säbelzahntiger und andere. Aber auch Menschen die vor 50.000 oder mehr Jahren in den südamerikanischen Kontinent eingewandert waren.

Die Großtiere verschwanden während des Klimawechsels, aber die menschliche Bevölkerung verstand es sehr gut sich an die geänderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Die ersten europäischen Reisenden ins Landesinneren berichten von den vielen indigenen Hütten, von den Tänzen und Bräuchen der Menschen. Orte, Dörfer, Flüsse, Pflanzen und Tiere tragen bis heute Namen, die ihnen von der Urbevölkerung gegeben wurden. Es sollen um 1500 rund 2 Millionen Menschen gewesen sein, die in diesem weiten Gebiet der semiariden Zone gelebt haben sollen.

Es waren Jäger und Sammler, sie fischten mit Pfeil und Bogen oder Netzen aus Caroa Fasern und hatten tiefe Kenntnisse über Heilwirkungen der Caatingapflanzen. Je nach Jahreszeit migrierten sie an die Stellen, wo es geregnet hatte und Nahrungsmittel zur Verfügung standen.

Im Gegensatz zur Großtierfauna hatte die indigene Bevölkerung also keine Schwierigkeit sich an die geänderten klimatischen Bedingungen anzupassen.

 

Die Gegend war überall bewohnt, es gab aber kein zusammenhängendes Staatengebilde, mit Königen, Verwaltung und Heer, wie etwa in China, Indien oder Afrika, wo es den Portugiesen nie gelang ein ganzes Land zu besetzen. Die indigene Bevölkerung lebte in kleinen Gruppen (heute zählt man in Brasilien noch 240 verschiedene Völker - gemäß Cimi, dem indigenen Misssionsrat der Brasilianischen Bischofskonferenz), wodurch es den Portugiesen leicht fiel, unter Ausnutzung der Rivalitäten zwischen den einzelnen Stämmen, nach und nach die indigene Bevölkerung zu unterjochen. Der Teil Brasiliens, in dem die indigene Kultur vom Anfang an am meisten zerstört und die Menschen versklavt oder getötet wurden, ist der Nordosten, in sich auch die semiaride Zone befindet. Da sich den Portugiesen keine Machtstruktur entgegen stellte und die Indigenen, als “Waldmenschen” in die Nähe von Tieren gestellt wurden, betrachtete der König dieses neu “entdeckte” Stück des Globus als frei und deshalb ihm gehörend. So wurde es im Religionsunterricht früher in den Schulen in Europa gelehrt: wer ein freies Stück Land findet, entdeckt, dem gehört es auch!

 

Zugleich mit der “Entdeckung” (oder besser Invasion), hatte der König von Portugal aber auch ein großes Problem am Hals. In Indien und China genügte ein kleiner Handelsstützpunkt, um die von den Bewohnern hergestellten Waren oder Produkte kaufen oder tauschen zu können. Diese Völker stellten kostbare Seidengewebe, Porzellan und Goldschmuck her. Gefragt waren in Europa damals auch Gewürze, Farbstoffe und Weihrauch-Harze. In Brasilien jedoch wurde nichts gehandelt, nichts hergestellt. Anfangs waren Felle von Großraubkatzen, Faultieren und ähnliches die einzigen Güter, die die Portugiesen nach Europa brachten. Dann wurde das Brasilholz entdeckt, das einen vorzüglichen, billigen Farbstoff liefert, und die teuren asiatischen roten Farbstoffe, wie die Purpurschnecke mit bestem Ergebnis ersetzen kann. Bei den Initialen-Bilder in Bibeln und anderen Druckwerken, auf den Lippen der feinen Damen und zum Färben von teuren Kleidern durfte das Rot nicht fehlen.

Aber mit dem Brasilholz hatte der König von Portugal ein zweites, noch größeres Problem am Hals: den Neid besonders der Franzosen und der Holländer. Auch sie waren in den Jahrzehnten danach an der brasilianischen Küste gelandet und hatten Gefolgschaft von indigenen Stämmen gefunden, die Feinde derjenigen waren, die mit den Portugiesen paktierten.

Die tausende Kilometer lange Küste könnten die Portugiesen mit ihrer kleinen Flotte, den wenigen Soldaten, und geringen Geldmitteln unmöglich verteidigen. Also musste eine Lösung her, die zum Einen das Land gegen Fremde schützte und verteidigte, zum anderen auch irgend etwas produzierte was die leeren Staatskassen Portugals auffüllte. Portugal hatte bereits begonnen auf der Insel Madeira mit großem finanziellen Erfolg Zuckerrohr zu pflanzen. Zucker war damals ein Luxusgut. Was lag näher, als dies auch in Brasilien zu versuchen, das für seine fruchtbaren Böden schon bekannt war. Die Frage war nur, wie das Ganze organisieren. Es gab in Brasilien keine Bauern, der dichte Regenwald an der Küste musste gerodet werden und es waren vor allem hohe Anfangsinvestitionen für Fabrikanlagen, Unterkünfte, Straßen notwendig. Ähnlich wie es die Regierungen heute machen, rief er die Privatinitiative, um in Brasilien zu investieren, selbst viel Geld zu verdienen, aber dem König einen Teil des Gewinnes überlassen würden.

Reiche Leute, Adelige oder nicht, machten Verträge mit der portugiesischen Krone, erhielten einen breiten Streifen Land von der Küste weg ins Landesinnere, die Capitanias. Dieser Versuch war praktisch ein voller Misserfolg. Einige „capitaes“ kamen überhaupt nicht nach Brasilien, andere widerstanden den Attacken der Indigenen nicht. Besser ging es mit der Vergabe von Sesmarias (Brachland, Lehen). Sesmarias wurden im 14 Jahrhundert in Portugal mit Erfolg eingeführt. Die Landgröße war unterschiedlich, anfangs nur einige Quadratleguas. (1 Léguas, ca. 6 km). Die Landvergabe hatte ursprünglich das Ziel, die Nahrungsmittelknappheit im Portugal zu bekämpfen. Wenn der Lehensnehmer das Land nicht widmungsgemäß verwendete, fiel es auf den König zurück.

Doch Brasilien war weit, Überfahrten waren nicht das ganze Jahr möglich und dauerten Wochen und der war König schwach, um zu überwachen, sodass, was in Portugal einigermaßen seinen Zweck erfüllt hatte, führte in Brasilien zur Grundlage für eine ausufernden Konzentration des Landes in der Hand von wenigen, den riesigen Latifundien. Die Sesmarias Herren, eigneten sich Sesmaria nach Sesmaria an, die vielfach nicht nur zehntausende, sondern hunderttausende Quadratkilometer summierten. Der größte auf diese Weise zusammen gekommene Besitz hatte mehr als 800.000 km² und war fast 300 Jahre in der Hand der selben Familie, 'd Ávila. Keiner derjenigen, die auf diesen Sesmarias arbeiteten war Eigentümer des Landes, es waren Lohnarbeiter, Rinderhirten, Sklaven, später Halbpächter.

Das Sesmaria System wurde 1822 in Brasilien abgeschafft. Und fast dreißig Jahre wurde keine andere Landgesetzgebung an seine Stelle gesetzt. Ein Zeitraum der von den Landherren bestens genutzt wurde, um die Grenzen ihres Latifundiums weiter nach vorne zu verschieben.

Die nachfolgenden Land Gesetze von 1850 waren dann aber so formuliert, dass das Privileg auf Landbesitz in der Hand der Reichen und Derjenigen blieb die Einfluss hatten.

Mit der Abschaffung der Sklavenhaltung 1888 verschärfte sich das Landproblem, d.h.,  Landeigentum für derjenigen, die am Land arbeiten noch mehr. Nominal wurden die Sklaven befreit, ihnen aber de facto keine Möglichkeit zu eigenständigen Unterhalt gegeben. Denn in einer vollen Agrargesellschaft, ist Landbesitz - in ausreichender Größe – die einzige Option, würdig und selbstständig für den eigenen Unterhalt zu sorgen.

 

Die Agrarstruktur war im gesamten portugiesischen Herrschaftsbereich dieselbe: Großgrundbesitz, Sklavenarbeit, keine selbstständigen Bauern. Im Süden Brasiliens begann diese Struktur im 19. Jahrhundert aufzubrechen. In vom brasilianischen Kaiser finanzierten Kampagnen, vor allem in deutsch sprechenden Ländern wurden Bauern und Handwerker für die südlichen Bundesländer angeworben, wie Rio Grande do Sul, Santa Catarina, Parana. Es kamen oft ganze Dörfer, neben den Bauern kam der Schmied, Schreiner, Pfarrer, Lehrer und alle mit den entsprechenden Arbeitsgeräten. Es waren echte Kolonisationsprojekte, mit Landeigentum und viel (versprochener) Infrastruktur, aber auch oft nur als besser angesehene, bezahlte Arbeitskraft am Großgrundbesitz, die es aber im Lauf der Jahrzehnte schaffte sich als Familienbauern zu etablieren.

 

Im Norden und Nordosten dagegen hatte sich nichts geändert. Die großen Sesmaria Strukturen waren zwar aufgebrochen, aber an deren Stelle waren lokale Großgrundbesitzer getreten, auf deren Ländereien es nur Landarbeiter, aber keine selbstständige Bauern gab. Es gab Halbpächter und Posseiros, die Felder anlegen durften, aber einen Tribut an den Landherren zahlen mussten. Auch mussten sie mit Feldbau ihr Auskommen finden, was im unregelmäßigen Klima der Region die schlechteste Option ist. Durch die Unsicherheit am Land gab es keine Vorratswirtschaft, was bei längeren Trockenperioden, Massenmigration, von der Regierung verordnete Umsiedlungen verursachte und viele Menschenleben forderte.

In dieser ausweglosen Situation entstanden gegen Ende das 19 Jahrhunderts viele messianische Bewegungen, mit zahlreicher Anhängerschar. Einige davon gründeten feste Siedlungen, mit strengen religiösen Regeln, in denen aber Gleichheit und Brüderlichkeit herrschte und alle sich von ihrer eigenen Produktion ernährten. Die bekannteste von ihnen ist vielleicht die Bewegung um Antonio Conselheiro – Antonio dem Ratgeber, die am Ende ihrer langjährigen Wanderung durch das semi aride Gebiet, sich schließlich in Canudos ansiedelte. Großgrundbesitz, Regierung und Kirche fühlten sich durch diesen Ansatz einer neuen Gesellschaftsordnung bedroht und wurde mit Säbeln, Gewehren und Kanonen bekämpft und ausgerottet.

Ab den 20-er Jahren und der Mitte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Agrarreformbewegungen. Das Elend der Zuckerrohrarbeiter in der Küstenzone und die Hungersituation der Halbpächter im Landesinneren beflügelte die Forderung nach Landreform, was vom Präsidenten Joao Goulart mit wohlwollend gesehen wurde. Er hatte auch einen Mehrjahresplan für die Entwicklung des Nordostens in Auftrag gegeben, in dem ganz klar die ungerechte und klimatisch unangepasste Landstruktur aufgezeigt wurde.

Doch so ein Vorstoß gegen die alten Privilegien der Großgrundbesitzer konnte nicht gut gehen. Die Angst vor der „Kommunistischen Gefahr“ zu schürend halfen alle mit um den Präsidenten zu stürzen und der „drohenden“ Landreform ein Ende zu bereiten: Großgrundbesitzer, Politiker, katholische Kirche und die USA, die sogar Kriegsschiffe vor die Küste Brasiliens schickten, falls der Putsch Widerstand finden würde. Das war 1964.

In kurzer Zeit löschte die Militärdiktatur jede Bewegung und Initiative in Richtung Agrarreform aus. Folter, Entführungen, Zensur waren an der Tagesordnung; Menschen verschwanden ohne Spuren zu hinterlassen.

Als Gegenstück zur Agrarreform erließen die Generäle ein Landstatut, das bis heute als exzellentes Instrument für eine Agrarreform angesehen wird. Leider fand es keine Anwendung.

 

Die Zeit der Militärdiktatur kann als gesetzlose Zeit betrachtet werden. Das Parlament war zum Teil geschlossen, Gesetze, die den Generälen nicht genehm waren, wurden per Verordnung außer Kraft gesetzt und wenn ein Gesetzesvorgehen nicht zu vermeiden war, verlief es im Sand oder wurde per höchstem Befehl archiviert. Hoffährende Richter und Anwälte taten ihres dazu, um Rechtslagen zu verdrehen, so dass oft der Kläger als Schuldiger verurteilt wurde. Das beste Argument wenn Jemand sein Unrecht durchsetzen wollte, war es den Geschädigten als Kommunist zu bezeichnen. Dann konnte er mit Sicherheit mit der brutalen Unterstützung von Polizei und Militär rechnen.

In dieser Zeit der Militärdiktatur konnten die Großgrundbesitzer ganz besonders ihren Landbesitz ausweiten. Es genügte, wenn ein Kleinbauer die Rinder des Großgrundbesitzers aus seinem kleinen Feld vertrieb, dass die Polizei das ganze Dorf niederbrannte, die Menschen zu Krüppel schlug, ermordete oder in Gefängnissen an Krankheiten sterben ließ. Der Großgrundbesitz konnte auch immer mit der Unterstützung der lokalen Richter rechnen, die ihm gefälschte Grundbesitzdokumente lieferten, oder als rechtmäßig anerkannten.

 

Nach dem Ende der Militärdiktatur wurde 1988 eine neue Verfassung ausgearbeitet, die einen revolutionäres Ansatz in Bezug auf Landbesitz im Artikel 186 definiert: Land ist nicht absolutes Eigentum, es muss der Allgemeinheit dienen, es muss nachhaltig und sozial genutzt werden und die Arbeitsverhältnisse müssen gerecht sein.

Doch zu einer umfassenden Landreform kam es bis heute nicht. Die meisten BauernInnen (2 Millionen) wurden unter Präsident Fernando Henrique Cardoso angesiedelt – allerdings mit großem Druck durch die Landlosenbewegung. Hier muss allerdings ergänzt werden, dass sie zwar angesiedelt wurden, aber keine ausreichende Infrastruktur, Strom Wasser, fachliche Assistenz, Begleitung, etc. erhielten und so viele bis heute nicht autonom werden konnten.

 

Im semiariden Gebiet, abgesehen vom Weiterbestand der rigiden Struktur des Latifundiums, kommt ein weiteres Element dazu, dass eine Agrarreform erschwert: die Größe des Landes, das eine Familie benötigt, um wirtschaftlich unabhängig zu werden. Denn je weniger es in einer Region regnet, desto größer muss die Landfläche sein, oder, um genauer zu sein: der Regen allein ist nicht der determinierende Faktor, sondern viel mehr die potentielle Verdunstung. (Denn in Berlin oder Wien regnet es ähnlich viel, wie in Juazeiro, verdunstet aber viel weniger). Wenn die Verdunstungsrate größer ist, als die Niederschlagsmenge, haben wir es mit ariden oder semiariden Gegenden zu tun. In einem solchen Klima benötigt der Bauer also viel mehr Land, als in einer regenreichen Zone. In weiten Bereichen ist zudem Feldbau kaum möglich, es werden Ziegen und Schafe gehalten, die ohnehin schon größere Flächen benötigen.

In solch einem Klima steht die Bodenfruchtbarkeit an zweiter Stelle, der wichtigste Faktor für eine landwirtschaftliche Betätigung ist die Niederschlagsmengen. Als anschauliches Beispiel kann die Natur selbst dienen. Im Regenwald steht die Vegetation dicht gedrängt. Die Bäume sind hoch und selbst bei vollem Sonnenschein zu Mittag ist es am Boden etwas dunkel. Die modernen automatischen Fotoapparate losen hier immer von selbst den Blitz aus.

In der Caatinga, der typischen Vegetation der semiariden Zone, stehen die Pflanzen jedoch weit auseinander. Jede benötigt eine weiten Sammelbereich, um mit ihren Wurzeln das wenige Regenwasser einfangen zu können. Es ist eine offene Vegetation, der tiefblaue Himmel, mit den weißen Wolkenfetzen ist immer zu sehen.

Gemäß Studien des staatlichen Forschungsorgans Embrapa, im zentralen, trockensten Bereich (wo auch Juazeiro liegt), benötigt eine Kleinbauernfamilie bis zu 300 ha für ein gesichertes Einkommen, selbst in regenarmen Jahren. Von solchen Grundgrößen sind wir weit entfernt. Die staatlichen Landreformbehörde machte hier in den vergangenen Jahren Agrarreformprojekte mit einer Grundstücksgröße von oft nur 5, 30, 40 Hektar (es entstanden viele sogenannten Minifundien) .Da ist es nicht zu wundern, wenn die Familien nicht aus eigener Produktion leben können und immer noch staatliche Unterstützung benötigen.

Sicherlich, nicht überall muss die Grundeinheit so groß sein. Um wieder die Embrapa zu zitieren, bei ihrer Studie über die agro-ökologische Zonierung des Nordosten (etwas größer als das semiaride Gebiet) konnten 20 große Landschaftseinheiten und 172 ökologische Umwelteinheiten definiert werden. Diese große Unterschiedlichkeit muss natürlich bei jedem Landreformprojekt beachtet werden, muss die Grundlage sein für Eintragungen ins Grundbuch etc.

Die Frage nach der Landgröße im semiariden Gebiet hat IRPAA von Anfang an gestellt. Und in den letzten Jahren scheint dieses Thema auch Menschen in einigen Regierungsstellen interessieren, aber auch NGOs stellen sich dieser Frage.

Denn eines ist sicher: Konviventia mit dem semiariden Klima ist nicht möglich, wenn die Anbau- oder Weidefläche des Bauern zu klein ist.